Das Herdentier Pferd



Das Pferd - als Herdentier!

 

Das Verhalten der Pferde beruht in erster Linie auf Instinkten, die tief in den Tieren verankert sind. Pferde sind von Natur aus Fluchttiere, die in Herden leben. Dies dient der Sicherheit und dem Überleben. In freier Wildbahn setzen sich die Herden in der Regel aus einem dominanten Hengst, mehreren Stuten und Jungtieren zusammen (es gibt auch andere Herdenstrukturen).


Ältere Stuten nehmen dabei äußere Plätze ein und halten Ausschau nach möglichen Gefahren und Bedrohungen. An der Spitze der Rangordnung steht in der Regel eine Leitstute, die die Herde zu Weidegründen, Wasserstellen, Rastplätzen und geeignetem Wetterschutz führt und für ein reibungsloses Miteinander sorgt. Sie entscheidet, ob die Herde flieht oder nicht. Auf der Flucht gibt sie Richtung und Tempo vor. Allerdings muss jedes Pferd mit seinem Energiehaushalt sparsam umgehen, da es in freier Wildbahn bei einem zu viel an Flucht nicht mehr genügend Nahrung aufnehmen könnte, um auf Dauer zu überleben. Es gilt also klug abzuwägen, wann Zeit ist, um zu fressen, und wann man besser fliehen sollte. So wird ganz leicht offensichtlich, welch verantwortungsvolle Aufgabe dem Leittier zufällt.

 

Der Hengst hält währenddessen von hinten die Herde zusammen und achtet darauf dass kein Tier zurück bleibt. Notfalls verteidigt er die Herde mit Hufen und Zähnen. Er ist zu Fortpflanzungszwecken Bestandteil der Herde, selten übernimmt er erzieherische Funktionen.

 

Die Spiele der Pferde untereinander bereiten jeden einzelnen auf ihren Platz in der Herde vor. So üben schon junge Fohlen, wie die Rangordnung in der Herde funktioniert. Immer kommt es im Spiel auf eine Frage an: Wer bewegt wen? Wer bestimmt das Spiel?


Der Ranghöhere bewegt den Rangniedrigeren, der Stärkere springt auf den Schwächeren, das dominante Pferd drückt das schwächere auf den Boden. Bisse in Vorderbeine, Hinterbeine, die Kehle oder den Mähnenkamm, Rangeleien mit Lippen und Zähnen, Auskeilen und Tritte gehören ebenso zu den Spielen der Pferde wie wilde Verfolgungsjagden. Die Intensität der Rangeleien kann sehr unterschiedlich sein. Da Pferde über eine sehr ausgeprägte Körpersprache verfügen, kommt es vor körperlichen Auseinandersetzungen zunächst zu Drohgebärden um zu imponieren. Dabei geht es sehr ritualisiert zu. Es werden die Ohren anlegt, in die Flanke gebissen oder versucht, das Vorderbein des anderen wegzuziehen. Das eingeschüchterte Pferd dagegen kneift den Schweif ein, fängt an zu kauen oder verlässt den Bereich des Konkurrenten. Jedes Pferd lernt so, sich an die Regeln zu halten. Bereits im Fohlenalter stellt sich heraus, wer später einmal ranghoch, stark, mutig und selbstbewusst und wer eher ruhig, ausgeglichen, verträglich, vermittelnd, wer eher vernünftig und besonnen ist. Somit gibt es Leitstuten und Leithengste, die mit Stärke und Durchsetzungsvermögen führen und solche, denen die Herde aufgrund ihrer Erfahrung und Ruhe, ihrer Ausgeglichenheit und Souveränität folgt.

 

Die Umgebung des Hauspferdes ist eine völlig andere als die der Wildpferde. Trotzdem sind viele ursprüngliche Verhaltensweisen auch bei unseren Reit- und Zuchtpferden noch fest verankert. Dies wirkt sich auch auf die tägliche Stall- und Weidehaltung aus. Für jede Herde, ob gemischte Jungtiere, Junghengste, Wallache, Stuten- oder Seniorengruppen gilt das gleiche Verhaltensmuster. Wer sein Pferd gut behandeln will, sollte sich also mit dem natürlichen Verhalten und Bedürfnissen der Pferde auseinandersetzen und versuchen diesen gerecht zu werden. Wer lange Freude an einem körperlich und seelisch gesunden, ausgeglichenen und zufriedenen Pferd haben möchte, sollte dafür sorgen, dass es sich immer sicher fühlt. Dazu braucht es Artgenossen, mit denen es den größten Teil des Tages verbringen kann.

 

Gemeinsamkeit ist für Pferde sehr wichtig. Wie also bereits erwähnt weist die strikte Rangordnung jedem Tier seinen Platz und seine Aufgabe in der Herde zu. Sie stellt sicher, dass jedes Tier ausreichend Wasser, Futter und Schutz hat. Einander fremde Pferde halten oft erstmal einen gewissen Abstand zueinander. Dieser Individualabstand ist von Tier zu Tier unterschiedlich. Einige lassen fremde Pferde gleich sehr nah heran, andere fliehen oder drohen bereits, wenn sich das fremde Pferd nur in seine Richtung dreht. In einer gefestigten Herde ist der Individualabstand fast aufgehoben. Die Tiere stehen, fressen und schlafen mit Körperkontakt. In einer von Menschen zusammengesetzten Herde kann es dennoch Tiere geben, die ausgegrenzt werden oder die sich nicht in die Herde einordnen können. Das verursacht Stress auf beiden Seiten.

 

Auch Pferde schließen Freundschaften mit anderen Pferden. Diese Bindungen sind äußerst wichtig für die seelische Gesundheit, den Zusammenhalt der Gruppe und damit auch für das Überleben. Dabei ist die Rangordnung manchmal völlig außer Kraft gesetzt. So kann gelegentlich auch ein rangniederes Pferd durch die Freundschaft zu einem ranghohen "aufsteigen", indem es seinen Schutz genießt.

Werden neue Tiere in einen Herdenverband eingegliedert, bringt es vor allem in einem größeren Herdenverband alles durcheinander. In jeder Position kommt es zu Verschiebungen. So werden sich die Neulinge entsprechend ihrem angeborenen Rang in die bereits bestehende Struktur einfügen, was sich dann in Rangkämpfen mit denjenigen Pferden äußert, die einen ähnlich hohen Rang besitzen. Ist die Hierarchie nur in der Mitte oder bei den Rangniedrigen betroffen, verlaufen in der Regel die Rangordnungskämpfe sehr schnell und ohne große Blessuren. Wird allerdings der Herdenchef attackiert, kann die Rangelei durchaus heftiger ausfallen. Ist die Ordnung aber einmal hergestellt, geht es sehr friedlich zu. Die Herde ist optimal durchstrukturiert: Jedes Pferd kennt seinen Rang und weiß, wem es z.B. seinen Platz an der Raufe überlassen muss, oder wen es selbst wegschicken darf, um auf dessen Platz zu fressen.

 

Ich kann nur für meinen Stall bzw. unsere Herde sprechen.

Ja, eine Pferdeherde ist ein hochkomplexes soziales Gefüge, welches aber nicht einfach mit einer Hierarchieskala beschrieben werden kann.

Nein, es gibt nicht „das“ eine Alphapferd, den sagenumwobenen „Leithengst“ oder die „Leitstute“, welches die Herde anführt und welchem alle anderen bedingungslos folgen. Vielmehr ist die Herde ein Beziehungsgeflecht. Um dieses Beziehungsgeflecht so gut wie möglich zu verstehen und daraus Schlüsse für die Gruppenhaltung von Pferden ziehen zu können, müssen viele verschiedene Aspekte der Herdenstruktur zueinander in Beziehung gesetzt werden. Nur wenn die Herde sowohl in ihrer Zusammensetzung als auch in ihren Interaktionen betrachtet wird, kann über den Grad der Harmonie oder das Konfliktpotential in der Gruppe geurteilt werden.


Es geht in der Pferdeherde also nicht allein um Dominanzbeziehungen, es geht vielmehr um Freundschaften und allgemeine Marker darüber, ob die Kommunikation und der Zusammenhalt innerhalb der Herde funktionieren. Mit reiner Unterwerfung hat die Rangordnung bei Pferden also nichts zu tun. Ein aggressives Führungspferd würde vielmehr immer für sich allein stehen, weil es von den anderen Pferden aus Angst gemieden wird. Vielmehr ist zu beobachten, dass manche Pferde selbst in höhere Positionen "gewählt" werden, sich ihnen nahezu freiwillig angeschlossen wird. So wird die Nähe von solchen Pferden gesucht, weil diese kaum Gewalt anwenden, an Rangordnungskämpfen nicht interessiert sind, Ruhe und Selbstsicherheit ausstrahlen. Konflikten gehen diese Pferde wenn möglich geschickt aus dem Weg, Sie behalten die Umgebung im Blick und erkennen Gefahren. Auch solche Pferde können sich durchsetzen. Ein niedriger Rang innerhalb der Herde muss also nicht zwangsläufig mit Nachteilen verbunden sein. Pferde fühlen sich im Verband mit Artgenossen sicher - das rangniedrigere Tier hat eben nur weniger Verantwortung.

 

Pferde bewerten den Rang nicht, wie Menschen es tun. Darum sollten wir es auch nicht tun !


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